AB EB_6
Thema: Mikroorganismen, Enzyme und Biokraftstoffe
zurück zur Übersicht: Arbeitsblätter (AB) Exkurs B
Die folgenden Texte bzw. Materialien sind Bestandteile des Arbeitsvorhabens (AV)
“Pflanzen, Mikroorganismen oder Reststoffe als Grundlagen für Biokraftstoffe –
|
Ausgangspunkte der 3. und 4. Generation* der Biokraftstoff-Herstellung sind Mikro- oder Makroalgen, Bakterien, sogenannte Urbakterien und einige niedere Pilze. Im Rahmen der Produktionsverfahren wird in der Regel angestrebt, möglichst viele weitere Stoffe für die Weiterverarbeitung, z.B. in der chemischen oder pharmazeutischen Industrie, zu gewinnen.
Der umgangssprachliche Begriff „Alge“ (lat.: alga „Alge“, „Seegras“, „Tang“ engl.: algae, seaweed, kelb-forest) umfasst sehr verschiedene Organismengruppen. Die meisten Algen gehören zu den Pflanzen, sind ein- oder mehrzellig und einige bilden sogar einen Körper wie die höheren Pflanzen aus. Sie betreiben Fotosynthese (= autotroph) und leben vorwiegend in aquatischen Ökosystemen – von der Pfütze bis zum Weltmeer. Der Konsum von Algen, insbesondere Makroalgen, ist schon aus dem Altertum bekannt. Vor allem Regionen des asiatischen Raumes nutzen Algen – vornehmlich Makroalgen – in unterschiedlichster Zubereitung als eine bedeutsame Nahrungsgrundlage. Dabei ist aber zu unterscheiden zwischen Zuchtalgen und Wild-Ernte. Letzteres spielt heutzutage kaum noch eine Rolle (Abb. AV EB_6-22 Makroalgenproduktion). *In der Literatur werden beide Generationen auch unter der Bezeichnung 3. Generation zusammengefasst, wenn die Unterschiede der Biokraftstoff-Herstellung zwischen Wasser- und Landpflanzen im Vordergrund stehen.
|
Im Kontext der Entwicklung entsprechender Verfahren wurde an vielen Stellen deutlich, dass es schwieriger ist, mit lebenden Organismen zu arbeiten, als mit Erntemasse oder Reststoffen. Jeder Organismus hat eben seine spezifischen Ansprüche an die Umwelt. Es wurde (wird) versucht, die daraus resultierenden Probleme – soweit möglich – mithilfe technischer und bio- bzw. gentechnologischer Maßnahmen zu lösen. Diese sogenannte Optimierung der eingesetzten Organismen betraf (betrifft) meistens die Veränderung
Die Ergebnisse waren nicht immer erfolgreich. In vielen Fällen kamen manche Entwicklungen nicht über das Labor- oder Pilotstadium hinaus. Einige im größeren Maßstab arbeitende Unternehmen konnten sich aufgrund zu hoher Produktionskosten nicht am Markt durchsetzen. Viele mussten ihren Betrieb in den ersten zehn Jahren dieses Jahrtausends wieder einstellen. Seit einigen Jahren geht man jedoch neue Wege in der Forschung, um Algen und Bakterien zukünftig doch zur Biokraftstoff-Herstellung nutzen zu können.
Folgende Ziele werden dabei verstärkt angestrebt:
In beiden Generation müssen die eingesetzten Organismen zunächst optimiert werden. Das bedeutet, dass sie sowohl nach herkömmlichen Methoden – der natürlichen Auswahl (= Selektion) – , als auch unter Einsatz gen- und biotechnologischer Methoden an die gewünschten Fähigkeiten angepasst werden. Sehr aufwendige Prozesse, die im Labor stattfinden. Nicht immer wird das gewünschte Ergebnis gleich erreicht, oft muss später „nachreguliert“ werden.
Auch der nächste Arbeitsschritt auf dem Weg z.B. zum Biokraftstoff ist grundsätzlich für beide Generationen gleich: Die eingesetzten Organismen müssen kultiviert werden. Damit verbunden ist die Schaffung – auch entsprechend der in den Organismen herbeigeführten Veränderungen – optimaler Umweltbedingungen. Nur so können Wachstum, Vermehrung und ungestörte Abläufe der gewünschten Stoffwechselleistungen stattfinden.
Auch die hiermit verbundenen Arbeitsschritte erfolgen zunächst in aufwendigen Versuchsreihen im Labor. Erst wenn diese erfolgreich sind, kann begonnen werden, die erprobten und kontrollierbaren Vorgänge in größere Maßstäbe, bis hin zum industriellen Maßstab, zu überführen.
Die Kultivierung von Mikroalgen erfolgt entweder in offenen oder geschlossenen Systemen. Dazu ist anzumerken, dass in der 3. Generation beide Systeme und in der 4. Generation fast ausschließlich geschlossene Systeme zum Einsatz kommen.Bei landgebundenen offenen Systemen – sogenannter Teichwirtschaft – muss primär ausreichend Wasser vorhanden sein. Dabei kann es sich sowohl um Wasser von relativ hoher Qualität handeln, in einigen Fällen aber auch um geeignete Abwässer. Die dort vorhandenen Kulturen müssen in Bewegung gehalten werden, damit auch alle annähernd optimal mit dem verfügbaren Sonnenlicht versorgt werden. Zugeführte Nährsalze sowie eingebrachtes Kohlenstoffdioxid müssen sich möglichst gleichmäßig verteilen. Abgestorbene Algen müssen entsorgt werden, um Fäulnisprozesse zu vermeiden.Ein Problem der offenen Kulturen ist auch die mögliche Kontamination mit Bakterien.Erprobt wird die Anzucht der Algen in bestimmten Abwässern, um im Sinne des Recyclings im Abwasser enthaltene Nährsalze und andere Stoffe wieder in den Stoffkreislauf zurückzuführen. Die verwendeten Abwässer müssen verschiedenste Ansprüche erfüllen. Sie müssen nicht nur frei von Schwermetallen und anderen Schadstoffen sein, sondern auch bestimmte Ansprüche der verwendeten Algen erfüllen, z.B. einen bestimmten pH-Wert aufweisen.Neben landgebundener Teichwirtschaft existieren auch offene System in marinen Bereichen. Dabei handelt es sich um sogenannte Offshore-Kulturen von Makroalgen. Von allen Algen produzieren sie pro Fläche und Jahr am meisten Biomasse. Alle offenen Kultivierungssysteme sind natürlicherweise schwerer zu steuern, weil sie den verschiedensten Umwelteinflüssen ausgesetzt sind, z.B. der Verunreinigung mit nicht erwünschten Bakterien.Bei der Verwendung von Mikroalgen und Cyanobakterien kommen zunehmend geschlossene Systeme zum Einsatz. Dort entfallen viele der zuvor genannten Probleme. In sogenannten Fotobioreaktoren (Flachplatten-, Röhrenreaktoren) können viele Prozesse sehr gezielt gesteuert werden (Temperatur, pH-Wert, Versorgung mit Nährsalzen und Kohlenstoffdioxid, Entsorgung toter org. Substanz, etc.). Eine Kontaminierung mit Bakterien wird hier unwahrscheinlicher.Ein Problem, das nur schwierig gelöst werden kann, ist die gezielte Entgasung geschlossener Systeme, d.h. die Entfernung von zu viel Sauerstoff. Ab einer bestimmten Konzentration dieses Gases wird die Fotosynthese hemmt, gewünschte Stoffwechselprozesse blockiert und letztlich können die eingesetzten Organismen sogar vergiftet werden.Die Produktivität der geschlossenen Systeme übertrifft die der Teichsysteme pro Fläche und Volumeneinheit. Geschlossene Systeme verlangen allerdings einen noch höheren technischen Aufwand und Energieeinsatz. Vor allem deshalb sind sie wesentlich teurer als offene Systeme. Damit verbunden ist häufig eine Unwirtschaftlichkeit, im Vergleich zu der Biokraftstoff-Herstellung in der 1. Generation.Einen Weg, diesen Nachteil abzubauen, sehen Wissenschaftler in dem konsequenten Betrieb der Anlagen für die 3. und 4. Generation auf der Grundlage einer „Bioraffinerie“. Das heißt, dass die eingesetzten Algen und Bakterien als vielfältige Rohstoffquelle angesehen werden. Auf den Prozesswegen zum Biokraftstoff sollen dementsprechend möglichst viele weitere neue Produkte entstehen (siehe hier) bei gleichzeitiger Verringerung des Energieeinsatzes. Dabei kann es sich neben den Biokraftstoffen u.a. um Produkte für die chemische Industrie, den Kosmetik- oder Nahrungsmittelbereich sowie Futtermittel handeln.Die Zukunft von Biokraftstoffen in der 3. und 4. Generation wird allerdings noch von einem weiteren Faktor maßgeblich beeinflusst. Für den weltweit handelnden, sehr mächtigen Verbund vielfältiger Unternehmen aus dem Agrarsektor, die nach wie vor vorrangig für die Produktion der 1. Generation von Biokraftstoffen stehen, werden die beiden Generationen der „Algen-/Bakterienwege“ in Zukunft möglicherweise eine große Konkurrenz sein. |
|
Letztlich wird die Politik maßgeblich entscheiden müssen (siehe Mat. I ff.), ob und wenn ja, nach welchen Grundsätzen bzw. Kriterien zukünftig noch Biokraftstoffe hergestellt und genutzt werden (siehe hier). Bisher zeigt sich die Politik allerdings – mit Ausnahme weniger Forschungsprojekte – nicht übermäßig interessiert an der Nutzung von Algen oder Bakterien zur Biokraftstoff-Herstellung.
Das Typische der 3. Generation der Biokraftstoffe ist die Nutzung bzw. Verarbeitung der kultivierten und dann geernteten Rohbiomasse. Wie zuvor erwähnt, werden solche Algen-/Bakterienarten genutzt, die unter chemischen und physikalischen Gesichtspunkten in ihrer Leistungsfähigkeit optimiert worden sind. Dieses erfolgt oft unter Einsatz gen- und biotechnologischer Methoden.
Die folgende Abbildung zeigt den grundsätzlichen Weg der Herstellung von Biokraftstoffen in dieser Generation. Was hier nicht wiedergegeben werden kann, ist das angestrebte Prinzip der Algen-Raffinerie, d.h. die zusätzliche Gewinnung verschiedenster Stoffe(= Neben- / Kopplungsprodukte) auf den Wegen zu den Endprodukten.
Die besondere Leistung der Enzyme besteht darin, dass die eingesetzten Organismen aufgrund ihres optimierten Stoffwechsels in ihren Zellen Zwischen- oder sogar Endprodukte für die Gewinnung von Biokraftstoffen und anderen Produkten enthalten. Diese müssen „lediglich“ aus der Algen-Rohmasse „entnommen“ werden (siehe Mat. XII ).
Alle Schritte bis hin zur Herstellung der verschiedenen Endprodukte sind zurzeit energieaufwendig. Vor allem die Kultivierung, die Trennung vom Medium (= Ernte) und Verarbeitungsvorbehandlungen (Zentrifugieren, Waschen, Gefriertrocknen, Mörsern etc.) treiben die Produktionskosten in die Höhe. Es wird intensiv daran gearbeitet, diese Kosten zu senken.
Kritisch sind hier bestimmte energieaufwendige Verfahrenstechniken zur Gewinnung der Endprodukte zu sehen, wie die Pyrolyse oder die Gasifikation.
Einen ganz anderen Weg geht die Herstellung von Biokraftstoffen in der 4. Generation. Grundlagen sind in erster Linie Mikroalgen und Cyanobakterien (= „Blaualgen“).
Ein maßgeblicher Unterschied zur 3. Generation besteht darin, dass hier nicht mehr die Algenbiomasse nach der Kultivierung geerntet und verarbeitet wird. Stattdessen produzieren die eingesetzten Organismen mit Hilfe ihrer optimierten Enzyme kontinuierlich in ihrem Stoffwechsel Zwischen- und Endprodukte, die nach außen abgegeben, „abgeschöpft“ und direkt verwertet oder noch weiterverarbeitet werden können.
Die eingesetzten Organismen werden als „Minifabriken“ angesehen, die mithilfe von Metabolic Engineering bzw. der Synthetischen Biologie an die speziellen Ziele angepasst worden sind. Der Kern aller Aktivitäten besteht darin, „benutzerdefinierte“ Vorgaben oder Ziele über die Steuerung verschiedenster Stoffwechselwege zu verwirklichen. Dazu gehören auch Veränderungen im Genom. Dieses ist u.a. durch die Beherrschung der CRISPR-CAS-Methode einfacher geworden (siehe AB 15_2.3). In diesen Punkten ähnelt die 4. Generation der Biokraftstoff-Herstellung weitestgehend der 3. Generation.
Wie auch schon in der 3. Generation der Biokraftstoff-Herstellung wird auch hier angestrebt, die Produktion im Sinne einer Bioraffinerie zu betreiben, d.h. im Rahmen der Nutzung möglichst viele Neben- bzw. Kopplungsprodukte herzustellen. In der Regel wird in dieser Generation nur in geschlossenen Systemen gearbeitet.
Die folgende Abbildung zeigt vereinfacht das Prinzip der Herstellung von Biokraftstoffe in dieser Generation.
Vor dem Hintergrund der direkten Nutzung von Stoffwechselleistungen zeigen sich bisher hauptsächlich folgende Probleme:
Weiter Probleme liegen im Stoff- und Energieeinsatz im Rahmen der Produktionsprozesse. Intensiv wird deshalb daran gearbeitet, dementsprechende Werte stark zu reduzieren. Unter anderem wird versucht, geeignete Abwässer oder Abgase zu nutzen und regenerative Energie einzusetzen. Auch hier erweisen sich die speziellen Ansprüche der jeweils ausgewählten Organismen als schwer lenkbar.
Ein grundsätzliches Problem beim Einsatz autotropher Mikroorganismen in geschlossenen Systemen besteht schließlich in der Produktion von Sauerstoff. Eine zu hohe Anreicherung im Medium stört die gewünschten Stoffwechselprozesse bzw. kann sogar tödlich sein, d.h. Enzyme werden in ihrer Aktivität gehemmt.
Realistischerweise muss gesagt werden, dass die auf der Basis von Mikroorganismen hergestellten Biokraftstoffe der 4. Generation zurzeit noch keine wirtschaftliche bzw. wettbewerbsfähige Alternative sind. In den meisten Fällen befinden sich die Arbeiten zur Nutzung von Mikroalgen und Cyanobakterien in der Forschungs- und Entwicklungsphase und müssen noch auf industrielle Maßstäbe übertragen werden. Einige Firmen, die zu Beginn des letzten Jahrzehnts versucht haben, am Markt zu bestehen, sind wieder verschwunden. Nach den Veröffentlichungen zu urteilen, nehmen Aktivitäten von Forschung und Entwicklung in diesem Bereich jedoch wieder deutlich zu. Die Umsetzung in den industriellen Maßstab ist angekündigt.
Gemeinsam arbeiten weltweit Wissenschaftler aus den Natur-, Ingenieur- und Geisteswissenschaften an der gesellschaftlichen Akzeptanz der neuen Biokraftstoffe und weiterer Stoffe auf der Grundlage von Mikroalgen und Bakterien. Die Notwendigkeit dazu ergibt sich aus der Nutzung bio- und gentechnologischer Methoden (siehe hier) beim Einsatz entsprechend veränderter Organismen. Risiken für die Umwelt müssen dabei ausgeschlossen werden.Informationen darüber enthält das Material Mat.XIV „Optimierung von Mikroorganismen zur Biokraftstoff-Herstellung – ein Sicherheitsproblem?“. |
Die Mat. XII und Mat. XIII behandeln das zuvor kurz Dargestellte in ausführlicherer Form. Anhand von Beispielen wird außerdem aufgezeigt, was grundsätzlich in der 3. und 4. Generation der Biokraftstoff-Herstellung und der damit verbundenen Gewinnung von Stoffen möglich ist. Aspekte zur Schaffung von Sicherheit beim Einsatz von gen- und biotechnologisch optimierten Algen und Cyanobakterien werden in Mat. XIV dargelegt. |
Mat. XII : Biokraftstoffe aus Algen-Biomasse Mat. XIII : Biokraftstoffe auf der Grundlage von Algen– und Bakterien-Stoffwechselprozessen Mat. XIV : Optimierung von Algen zur Biokraftstoff-Herstellung – ein Sicherheitsproblem? |
Die Bearbeitung der Aufg. 16 – 20 ermöglicht u.a. Aussagen zu folgenden Fragen in Bezug auf die 3. und 4. Generation der Biokraftstoffe: |
Was sind Algen und welche Bedeutung haben sie für das Leben in aquatischen (= Wasser-) Ökosystemen? |
Welche Besonderheit kennzeichnet die sogenannten Blaualgen (= Cyanobakterien)? |
Welche Schwierigkeiten müssen bewältigt werden, um aus Algen Biokraftstoffe und andere Produkte herzustellen? |
Was muss sich ändern, damit die Algenprodukte der 3. und 4. Generation wirtschaftlich werden? Was ist eine Algen-Bioraffinerie und worin liegt deren besondere Bedeutung? |
Wodurch unterscheiden sich die Ziele und die Herstellungswege der beiden Generationen? |
*Eine ökologische Nische ist kein räumliches Gebilde, sondern umfasst alle abiotischen und biotischen Faktoren, die die Existenz einer Art / mehrerer Arten ermöglichen.
|
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.