AB EB_4
Thema: Chemische Kampfstoffe – schädigen und töten auch über Enzyme!

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Chemische Kampfstoffe bzw. Waffen sind seit dem ersten Weltkrieg international geächtet (Genfer Konvention 1949). Entsprechende Verträge, die von fast allen Staaten unterzeichnet wurden, sollen deren Einsatz verhindern (siehe Abschnitt: „Politik und chemische Waffen“). Dennoch gibt es immer wieder grausame Vorfälle, die – in Zusammenhang mit Kriegen, Konflikten oder Terroristen –  eindeutig auf die Anwendung chemischer Waffen hinweisen.

Zu den chemischen Waffen gehören alle gasförmigen, flüssigen und festen Stoffe, deren toxische Eigenschaften Menschen oder Tieren zeitweiligen oder dauerhaften Schaden zufügen (nach: Chemiewaffenkonvention 1997).
Zu diesen Waffen gehören auch sogenannte „Nervenkampfstoffe“. Sie wirken auf die Signal-Leitung in und zwischen den Nervenzellen. Sie gelangen in den Körper als Kontakt- oder Atemgifte. Schon nach kurzer Zeit stellen sich schwere körperliche Beschwerden ein, die oft tödlich enden oder zu dauerhaften Schäden führen.
Im Folgenden werden zwei der chemischen Waffen ausführlicher hinsichtlich ihrer Geschichte, Chemie und ihrer biologischen Wirkung beschrieben: Sarin und Nowischok.
Ausgangspunkt dieser Nervengifte war die Entwicklung neuer Insektenvernichtungsmittel in Deutschland in den 30er und 40er Jahren.

Chemische Kampfstoffe

Abb. AB EB_4-1 Chemische Kampfstoffe (Warnzeichen / US Army)

Sarin

Auf der Suche nach neuen wirksameren Insektiziden entwickelt der Chemiker G. Schrader im Jahre 1938 den Stoff „Methylfluorphosphonsäureisopropylester“. Auf Feldern ausgebracht erwies sich dieser Stoff als katastrophal, d.h. er vernichtete fast alles Lebendige.
Kurz Zeit später fand dieser Stoff das Interesse des Militärs und wurde dann als „Sarin“* bezeichnet. Dieser chemische Kampfstoff wurde im 2. Weltkrieg nicht eingesetzt.
Der erste militärische Einsatz erfolgte 1988 im Irak. Dort wurde Sarin gegen die kurdische Minderheit eingesetzt. Es starben fast 5.000 Kurden. Bei zwei terroristischen Anschlägen in Tokyo (1994/1995) der  Aum-Sekte starben nach dem Einsatz von Sarin in der U-Bahn 20 Menschen, hunderte wurden verletzt. Auch im Syrischen Bürgerkrieg wurde mehrfach (2013/2017/2018) Sarin eingesetzt. Die Leidtragenden waren vor allem die Bewohner der betroffenen Städte.
*Der Name „Sarin“ wurde aus den Namen der beteiligten Forscher (Schrader, Ambros, Ritter und von der Linde)  abgeleitet.

 

Chemische Kampfstoffe Bomben

Abb. AB EB_4-2 Sarinbomben

Nachdem Sarin über die Atmung und die Haut aufgenommen wird, gelangt es über die Blutbahn auch zu den Nerven. An den Synapsen entwickelt der chemische Kampfstoff seine eigentliche Wirkung. Der Aufenthalt von einer Minute in mit etwa 100mg/mverseuchter Luft kann bereits nach 1-2 Minuten zum Atemstillstand führen. Bei geringerer Konzentration entwickeln sich Vergiftungssymptome – insbesondere schwere Krämpfe –  dagegen deutlich langsamer. Sarin ist nahezu geruch- und farblos.

Die folgende Abbildung  (Abb. AB EB_4-3 ) vergleicht schematisch vereinfacht die normale Situation an den Synapsen mit der unter Einwirkung von Sarin.

  1. Beschreibe zunächst die in Abbildung AB EB_4-3 gezeigten Vorgänge mit Hilfe der Legende.
  2. Erkläre dann unter Verwendung folgender Hilfen möglichst genau die Vorgänge an den Synapsen ohne und mit Sarin:
  1. Nenne die Unterschiede der Wirkung von „Neonicotinoiden“ im Vergleich zu „Sarin“.

 

Abb. AB EB_4-3 Denkmodell zur Informationsübertragung an den Synapsen und Muskeln / normal und unter dem Einfluss von Sarin (vereinfacht)

 

  1. Beschreibe die dargestellten Strukturen in Abbildung AB EB_4-4 und ordne die Begriffe „Enzym“, „Substrat“, „Enzym-Substrat-Komplex“ und „Spaltprodukte“ zu.
    Stelle dann Zusammenhänge zu den schematischen Darstellungen AB EB_4-3 her.
Chemische Kampfstoffe Ach

Abb. AB EB_4-4 Acetylcholin und Acetylcholinesterase

Die folgende Abbildung (Abb. AB EB_4-5 ) zeigt die Wirkung von Sarin und die eines Gegenmittels (Pralidoxim) etwas genauer.

  1. Beschreibe und erkläre anhand der Abbildung AB EB_4-5
  • das Geschehen bei Anwesenheit von Sarin im synaptischen Spalt (A) und
  • die Möglichkeit mit dem Stoff Pralidoxim einzugreifen (B).

Abb. AB EB_4-5 Wirkung von Sarin und Einsatz des Gegenmittels Pralidoxim (schematisch)

  1. Zusätzlich zu Pralidoxim wird bei einer Sarin-Vergiftung auch Atropin gegeben. Dieser aus der Tollkirsche gewonnene Stoff hat die Eigenschaft, an die gleichen Rezeptoren wie Acetylcholin zu binden, entfaltet dort jedoch keine Wirkung.
    Begründe, inwiefern die Atropingabe durch seine Wirkung bei einer Sarin-Vergiftung helfen kann.
    Stelle auch eine Hypothese bezüglich des damit verbundenen Risikos auf.
  1. Die folgende Abbildung AB EB_4-7 zeigt vereinfacht verschiedene Situationen bzw. Geschehen in der postsynaptischen Membran einer Synapse.
    1. Beschreibe und erkläre die drei Situationen mit Hilfe der Fachbegriffe und der erworbenen Kenntnisse über Kampfstoffe. Als weitere Hilfe bietet sich der Exkurs Synapse (AB EB_3 „Neonicotinoide“) an.
    2. Begründe, warum es so schwer ist, Atropin bei einer Sarinvergiftung richtig zu dosieren.

Abb. AB EB_4-6 Tollkirsche

Chemische Kampfstoffe Synapsen

Abb. ABEB_4-7
Gedankenmodell zu Situationen in der postsynaptischen Membran

Lösung zu Aufg. 5, 6 u.7

zu 5.
Sarin verbindet sich mit der OH-Gruppe der Aminosäure Serin, die Bestandteil des aktiven Zentrums von Acetylcholinesterase ist. Dabei wird HF abgespalten, das weitestgehend zerfällt. Durch dieses Geschehen kann die Acetylcholinesterase kein Enzym-Substrat-Komplex mit dem Acetylcholin bilden.
Pralidoxim reagiert mit dem sarinbesetzten Enzym und spaltet Sarin ab unter Wiederherstellung der OH-Gruppe an der Aminosäure Serin. Die Bildung eines Enzym-Substrat-Komplexes ist wieder möglich.
zu 6.
Folglich bleiben die Poren für die Dauer der Bindung geschlossen und es können keine Na+-Ionen durch die postsynaptische Membran einströmen.
Die Dosierung von Atropin ist schwierig, da zu viel Atropin ebenfalls eine Giftwirkung entfaltet (Informationsleitung durch zu wenig Na+-Einstrom gestört) und bei einer zu geringen Gabe die Dauererregung zu wenig „ausgebremst“ wird.
zu 7.
A- Durch die Impulse der vorgelagerten Nervenzelle erfolgt in Abhängigkeit von der Zeit ein bestimmter Na+-Einstrom durch die postsynaptische Membran.
B- Sarinmoleküle hemmen die Acetylcholinesterase langdauernd, teilweise sogar irreversibel. Dadurch kommt es zu einer extremen Zunahme der Wirkung des Acetylcholins. Letztlich führt dieses zum Zusammenbruch der Informationsübermittlung durch die Na+-Ionen.
C- Atropinmoleküle verhindert weitestgehend das Binden der Acetylcholinmoleküle an die Rezeptoren der Kanalporen in der postsynaptischen Membran. Damit wird auch der Na+-Einstrom weitestgehend blockiert.
Bei der Gabe von Atropin als Gegenmittel zu Sarin besteht das Problem darin, so zu dosieren, dass eine zumindest dem Normalzustand ähnliche Situation bezüglich des Na+-Einstroms entsteht.

Nowitschok

Nowitschok (russ.: Neuling / englisch: Novichok) wurde auf der Grundlage von Sarin ab den 1970er Jahren in der damaligen Sowjetunion entwickelt und in den folgenden Jahren weiter erforscht, d.h. es wurden verschiedene Varianten hergestellt.

Dieser Kampfstoff dringt wesentlich leichter durch die Haut in den Körper ein und durchdringt auch die meisten Filter von Schutzmasken. Außerdem ist er um ein Vielfaches wirksamer an der Synapse als Sarin. Besonders tückisch ist, dass die äußere sichtbare Wirkung des Kampfstoffes mit Verzögerung eintritt. Große Schäden sind dementsprechend dann schon vor der Behandlung eingetreten.
Über das Verhalten des Stoffes im Freiland (Halbwertszeit, Temperaturempfindlichkeit) ist nichts bekannt.
Im Jahr 2018 wurde dieser Kampfstoff in England gegen einen britischen Doppelagenten und seine Tochter eingesetzt.

Abb. AB EB_4-8 Nowitschok

Politik und chemische Waffen

Trotz der Ächtung der chemischen Kampfstoffe werden sie weiterhin in großen Mengen in den Waffenarsenalen verschiedener Länder gelagert. Bezüglich ihrer Herstellung – das gilt für Sarin und vermutlich auch für Nowitschok – sind viele von ihnen noch „perfektioniert“ worden: In den Bomben liegt nicht der endgültige Giftstoff vor, sondern zwei Komponenten, die erst nach der Freisetzung miteinander zum funktionsfähigen Kampfstoff reagieren – sogenannte „binäre Kampfstoffe“. Damit minimiert der Verursacher das Risiko vor dem gewollten Einsatz selbst geschädigt zu werden.

Ein massiver Einsatz chemischer Waffen – mit 90.000 Toten und mehr als 100.000 Verletzten – erfolgte im 1. Weltkrieg.  Ausgelöst durch die Schrecken des 1. Weltkrieges erfolgte 1925 der erste Versuch, den Einsatz chemischer im sogenannten „Genfer Protokoll“ für die Zukunft zu verhindern. Dieser Vertrag verhinderte jedoch nicht die Entwicklung und Produktion weiterer chemischer Waffen, wie z.B. Sarin, Tabun oder VX.

Abb. AB EB_4-9 Durch Senfgas geblendete Soldaten im 1. WK

Im 2. Weltkrieg wurde kein chemischer Kampfstoff eingesetzt, danach jedoch in mehreren Fällen. Auch das Entlaubungsmittel „Agent Organge“ – eingesetzt im Vietnamkrieg – ist der Kategorie der chemischen Kampfstoffe zuzuordnen.Ende der 60er Jahre begannen erneut Verhandlungen zu einem Chemiewaffenabkommen. Erst im Januar 1993 wurde in Paris die „Chemical Weapons Convention, CWV“ erstellt und von vielen Staaten unterzeichnet. Das Abkommen trat im April 1997 in Kraft. Zur Überprüfung der Einhaltung dieses Abkommens und der Klärung von Verstößen wurde die „Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW)“ gegründet.
Zusätzlich wurden im September 2015 die „Haager Ethik-Leitlinien“ erstellt. Sie enthalten Handlungsgrundsätze für Chemiker und sollen die OPCW unterstützen. Dieses Papier wurde bisher lediglich von 20 Ländern unterzeichnet.

 Genauer Informationen dazu finden sich u.a. unter folgenden Links:

https://de.wikipedia.org/wiki/Genfer_Protokoll   (Zugriff: 2018-11-23)
http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/208302/1925-genfer-protokoll  (Zugriff: 2018-11-23)
https://de.wikipedia.org/wiki/Organisation_für_das_Verbot_chemischer_Waffen  (Zugriff: 2018-11-23)
https://de.wikipedia.org/wiki/Chemiewaffenkonvention(Zugriff: 2018-11-23)
https://www.auswaertiges-amt.de/blob/207362/…/ovcw-ethische-richtlinien-data.pdf (Zugriff: 2018-11-23)

Trotz aller Verträge und Richtlinien ist es nicht verboten, Erkennungs- und Abwehrmittel für chemische Waffen zu erforschen und zu entwickeln. In diesem Zusammenhang spielen z.B. auch Biosensoren eine große Rolle (AB E_5 „Biosensoren – eine besondere Art, Enzyme zu nutzen“)


Fachliche Informationen wurden vor allem aus Veröffentlichungen folgender Quellen entnommen:
Pubchem OPEN CHEMISTRY Database
Centers for Disease Control and Prevention
Agency for Toxic Substances and Disease Registry

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