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Mit leisem Summen fliegt eine Biene in die Blüte, um dort Nektar und Blütenpollen aufzunehmen. Beides muss sie zurück zum Bienenstock bringen. Immer häufiger sind Bienen zu beobachten, die leider nicht mehr zum Stock zurückfinden.
Auch Hummeln zeigen in bestimmten Gebieten teilweise ein verändertes Verhalten. Die Ursachen können Insektizide sein. |
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Bienen: |
Exkurs: Was ist ein Insektizid?
Insektizide (-zide lat.: caedere „töten, erlegen“) Insektizide sind Chemikalien, die vom Menschen in der Land- und Forstwirtschaft, zum Vorrats- und Materialschutz und aus gesundheitlichen Gründen eingesetzt werden. Sie sollen bestimmte Insekten töten, vertreiben oder deren Entwicklung hemmen. Sie sind Gifte (siehe hier). |
![]() Abb. EB_3-3 Möglichkeiten der Insektizidaufnahme |
Damit besteht die Möglichkeit, dass sie auch für Menschen gefährlich werden. Schnell abbaubare Insektizide haben oft eine stärkere Giftigkeit. Ausgebrachte Insektizide befinden sich entweder auf den Pflanzenteilen oder im ganzen** Pflanzenkörper. Es gibt einige Insektizide, die selektiv „nur“ ganz bestimmte Insektenarten töten, inwieweit sie jedoch andere Insekten schädigen, spielt für ihre Zulassung keine Rolle. Die Grundsubstanzen der Insektizide können natürlicher oder synthetischer Herkunft sein. Einige dieser Substanzen sind zugleich Ausgangsstoff für die Herstellung chemischer Kampfstoffe. *Resistenzbildung (lat.: resitere„sich widersetzen“) **Insektizide, die in jedes Organ der Pflanze transportiert werden und sich damit letztlich in jeder Zelle des Pflanzenkörpers befinden, werden „systemische Insektizide“ genannt. Nichtsaugende, -beißende oder -bohrende Insekten sind dadurch weniger gefährdet. |
In diesem Arbeitsmaterial geht es um eine spezielle Gruppe von Insektiziden, den Neonicotinoiden – kurz Neonics. Wie schon der Name zeigt, sind alle zu den Neonicotinoiden gehörenden Produkte chemisch der gleichen Stoffklasse zuzuordnen wie Nicotin. Neonics sind die weltweit am meisten eingesetzten Insektizide. Sie sollen dazu beitragen, einen Ernteverlust von weltweit mehreren Millionen Tonnen zu vermeiden. Vor allem Mais-, Rüben-, Raps-, Weizen-, Baumwoll- und Sojapflanzen sollen durch den Einsatz dieser Stoffe vor bestimmten saugenden, bohrenden und beißenden Insekten (siehe z.B. Abb. AB EB_3-4 bis 3-6) geschützt werden. Diese schädigen die Pflanzen und können außerdem Krankheitserreger – vor allem Viren – übertragen. Letztlich kommt es durch die Aktivitäten dieser Insekten zur Verringerung des Ernteertrages. Neonics werden entweder als Saatgutbeizmittel (Abb. AB EB_3-7) verwendet oder auf die Pflanzen versprüht (Abb. AB EB_3-8). In beiden Fällen verhalten sich diese Insektizide „systemisch“, d.h. mit der Keimung und dem sich anschließenden Wachstum verteilen sich diese Stoffe in der ganzen Pflanze oder die Verbreitung in der ganzen Pflanze erfolgt durch die Aufnahme über die Wurzeln. Wenn dann bestimmte Insekten Blätter bzw. Stängel anbeißen oder Nektar und Pollen in der Blüte aufnehmen, verteilen sich die Neonics auch in deren Körpern. Je nach aufgenommener Dosis sterben die betroffenen Insekten oder sie werden zumindest geschädigt. Neonics sind wasserlöslich. Das bedeutet u.a., dass sie vom gebeizten Saatgut zum Teil abgewaschen werden bzw. nach dem Spritzen oder Sprühen zumindest teilweise in die Umgebung, z.B. den Boden gelangen können. Damit kommen auch Bodenlebewesen mit diesen Stoffen in Kontakt. Schließlich gelangen auch geringe Mengen der Neonics durch Ausschwemmung in Gewässer. Untersuchungen, die exakte Schlüsse auf damit verbundene Folgen zulassen, liegen kaum vor. Die Halbwertszeit* der verschiedenen Neonics ist sehr unterschiedlich. Sie beträgt je nach Produkt wenige Tage bis über zwei Jahre. Inwieweit die entstehenden Abbauprodukte für Organismen schädlich sind, ist nicht untersucht.*Die Halbwertszeit ist die Zeit, in welcher die Hälfte der ursprünglich ausgebrachten Menge abgebaut ist. |
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Lösungen zu Aufg. 3b und 4
zu 3b. |
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http://www.chemgapedia.de/pflanzenschutz/insektizide/substanz.html (Zugriff: 2018-11-20) |
Was passiert im Körper der betroffenen Insekten nach dem Kontakt mit Neonics?
Die Neonics werden nach dem Kontakt über die Körperflüssigkeiten im ganzen Insekt verteilt. Der Wirkort im Körper sind die Synapsen. Die Abbildung (Abb. AB EB_3-9) zeigt vereinfacht die Informationsübertragung von einer Synapse zur nächsten.
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Lösung: |
Abb. AB EB_3-9
Denkmodell zur Informationsübertragung an den Synapsen und Muskeln A: Transmitteraktivität normal / B: unter dem Einfluss Neonicotinoiden (vereinfacht)
Exkurs: Informationsübertragung an den Synapsen und Muskeln (vereinfacht) Informationen über Vorgänge in unserer Umwelt oder in unserem Körper werden mit Hilfe von Nervenzellen zum Zentralen Nervensystem (ZNS: Gehirn u. Rückenmark) geleitet, das selbst aus ca. 80 Milliarden Nervenzellen aufgebaut ist. Nach der Verarbeitung der Informationen im ZNS werden entsprechende Befehle wieder über Nervenzellen an die Stellen geleitet, z.B. Drüsen oder Muskeln, an denen eine Reaktion erfolgen soll. Vor allem aus Gründen der Informationsverarbeitung sind Nervenzellen nicht beliebig lang. Deshalb müssen einzelne Nervenzellen miteinander verbunden werden, d.h. es muss eine Kontaktstelle zwischen zwei Nervenzellen geben. Dieser Bereich wird als Synapse bezeichnet. Allerdings sind sie dort nicht fest miteinander verknüpft. Sie stehen in Kontakt, ohne sich zu berühren. Zwischen ihnen befindet sich eine kleine Lücke, der sogenannte „synaptische Spalt“. Innerhalb einer Nervenzelle wird die Information elektrisch geleitet. Diese Form der Informationsleitung funktioniert an der Kontaktstelle zwischen zwei Nervenzellen nicht. Die Übertragung der Information von einer Nervenzelle auf die nächste erfolgt deshalb in diesem Bereich auf chemischem Wege bzw. durch Diffusion. Gleiches gilt für die Übertragung von Informationen von einer Nervenzelle auf den Muskel sowie Drüsenzellen.Grundlage der chemischen Informationsübertragung an Synapsen sind sogenannte Überträgerstoffe (= Neurotransmitter). Dabei handelt es sich z.B. um den Stoff Acetylcholin. An der Synapse gibt die vorgelagerte (= präsynaptische) Nervenzelle (NZ1) den Neurotransmitter in den Raum zwischen den beiden Nervenzellen (= synaptischer Spalt) ab. Dort bewegt er sich durch Diffusion. In der Membran der nachgelagerten (=postsynaptischen) Nervenzelle (NZ2) befinden sich Kanalporen, die geöffnet oder geschlossen werden können. Der Neurotransmitter bindet dazu einer besonderen Stelle dieser Poren (= Kanal-Rezeptor). Das hat zur Folge, dass sich die Kanalporen öffnen. Nun können Ionen – in diesem Fall Na+-Ionen – in die nachgelagerte Nervenzelle (NZ2) einströmen.Die Menge der einströmenden Teilchen pro Zeit repräsentiert die Information, die von der vorgelagerten Nervenzelle(NZ1) übermittelt wird. Somit hat der Einstrom der Ionen zur Folge, dass in der nachgelagerten Nervenzelle (NZ2) wieder die gleiche Information entsteht, wie in der vorgelagerten Nervenzelle(NZ1) und damit weitergeleitet werden kann. Allerdings muss der Einstrom der Ionen auch wieder gestoppt werden können, damit die Information korrekt bleibt, d.h. der Neurotransmitter muss sich wieder vom Rezeptor lösen. Aufgrund der sehr schwachen Bindung zwischen Rezeptor und Acetylcholin reicht schon die Brownsche Molekularbewegung aus, um sie nach ca. 1 bis 2 Millisekunden wieder zu lösen. Die Pore wird geschlossen und der Einstrom der Ionen in das Innere der nachgelagerten Nervenzelle (NZ2) hört auf. Dann muss der Neurotransmitter noch unwirksam gemacht werden, damit keine weiteren Kanäle von ihm geöffnet werden können. Dieses bewirkt ein spezifisches Enzym. Im Fall des Acetylcholins ist es das Enzym Acetylcholinesterase. Das Enzym verbindet sich mit dem Neurotransmitter ( siehe Substrat-Enzym-Komplex ) und zerlegt diesen in unwirksame Spaltprodukte. Im Fall des Acetylcholins sind dieses Acetat und Cholin. Die Spaltprodukte werden zurück in das „Endköpfchen“ der vorgelagerte Nervenzelle (NZ1) transportiert und dort erneut zu Acetylcholin verbunden. Es gibt Stoffe, die wie die „normalen“ Neurotransmitter wirken. Das heißt, sie können an den gleichen Rezeptoren binden, passen jedoch nicht zu dem nach der Loslösung vom Rezeptor aktiv werdenden Enzym. Weil diese Stoffe in der Regel wesentlich länger am Rezeptor verbleiben als der eigentliche Transmitterstoff und auch wieder neu in Kontakt mit den Rezeptoren treten können, kommt es zu einem veränderten Ionen-Einstrom in die nachgelagert Nervenzelle (NZ2) und damit zur Veränderung der ursprünglichen Information. Der „falsche“ Transmitter führt letztlich zu erheblichen Verarbeitungsfehlern im Nervensystem des Organismus, verbunden mit Änderungen der Reaktion in Muskeln und Drüsen. Organe bzw. lebenswichtige Prozesse werden stark geschädigt, bis zum Tod des Organismus. Warum werden die Inhalte der Abbildung AB EB_3-9 als „vereinfachtes Denkmodell“ bezeichnet? In der Realität müssen zwei Transmittermoleküle an zwei Rezeptoren einer Kanalpore binden, damit diese geöffnet wird. Um die Abbildung zu vereinfachen, ist dieses dort vernachlässigt worden. Eine weitere Vereinfachung besteht darin, dass sich eine unvorstellbar große Anzahl von Molekülen – sowohl Neurotransmitter als auch die zugehörigen Enzyme – im synaptischen Spalt befinden. Es könnten dementsprechend folgende Fragen aufkommen, ob
Alle Fragen sind eindeutig mit „ja“ zu beantworten. Die Abbildungen können also nur ein ausschnitthaftes Denkmodell sein (Denkmodell siehe hier), das eine stark vereinfachte Momentaufnahme abbildet. Es kann lediglich helfen, eine gewisse Vorstellung von einem Vorgang zu erhalten. In Wirklichkeit steht hinter diesen abgebildeten Prozessen ein äußerst kompliziertes Gleichgewicht von Konzentrationen der beteiligten Moleküle, welches man nicht abbilden kann. Das hier verwendete Denkmodell hat also seine Grenzen, wie alle Modelle! Ob die Art der Darstellung dabei zu stark vereinfacht? Darüber kann man sicherlich in Teilen streiten. Eindeutig bleibt noch festzustellen, dass bis heute derartige Prozesse trotz fortgeschrittener digitaler Fähigkeiten nicht annähernd nachgebildet werden können. |
Lösung Aufg. 9 u. 10:
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Politik und Neonicotinoide
Fünf Neonics waren bzw. sind als Wirkstoffe in der EU für die Verwendung in Pflanzenschutzmitteln zugelassen: Clothianidin, Imidacloprid, Thiamethoxam, Acetamiprid und Thiacloprid.
Schon 2013 schränkte die EU-Kommission den Einsatz dieser Insektizide im Freiland ein. Dagegen klagten die Hersteller. Im Jahr 2018 erfolgte nun durch die EU-Kommission das Verbot, drei dieser Neonicotinoide im Freiland einzusetzen: Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam. Sie werden als besonders gefährlich für Bienen und andere nützliche Insekten angesehen. Ihre Verwendung ist allerdings weiterhin in dauerhaft bestehenden Gewächshäusern und zur Behandlung von Saatgut, das zur Saat in Gewächshäusern vorgesehen ist, erlaubt.
Sicherlich sind diese Maßnahmen in Hinblick auf die Umwelt positiv zu werten. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass insgesamt mehr als 800 verschiedene „Pflanzenschutzmittel“, die fast 300 zugelassene Wirkstoffe enthalten, in Deutschland eingesetzt werden dürfen (Stand Dez. 2017).
Der folgende Link führt zu der sogenannten „Durchführungsverordnung der EU-Kommission 2018/784 vom 29. Mai 2018“ für das Neonicotinoid Clothianidin.
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/PDF (2018-11-10)
Seit Kurzem wird über den Gebrauch der eigentlich verbotenen Neonicotinoide in sogenannten „Notfallsituation“ diskutiert bzw. in einigen Fällen ist diese schon in Kraft getreten. Die Entscheidungen hinsichtlich dieser „Notfallsituation“ treffen die in den EU-Mitgliedsländern jeweils zuständigen Behörden – in Deutschland das „Bundesamt für Verbraucherschutz„.
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https://www.agrarheute.com/pflanze/zuckerrueben/notfallzulassungen-fuer-neonicotinoide-immer-mehr-ausnahmen-eu (Zugriff: 2018-12-15) https://www.agrarheute.com/pflanze/raps/viren-raps-notfallzulassung-biscaya-erteilt (Zugriff: 2018-12-15) https://m.tagesspiegel.de/wirtschaft/neonikotinoide-bienengifte-kehren-zurueck.html (Zugriff: 2018-12-15)In der Politik, z.B. im Europäischen Parlament, widmet man sich seit Kurzem ebenfalls den hier behandelten Problembereich.https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2019-0104_DE.pdf (Zugriff: 2020-10-22) https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/EU_Initiative_Bestaeuber (Zugriff: 2020-10-22) |
Zukünftig wird sich zunehmend die Frage stellen, welche synthetisch hergestellten „Pflanzenschutzmittel“ in welchen Mengen in der Land- und Forstwirtschaft eingesetzt werden dürfen. Dabei wird es weiterhin häufig zu einem Konflikt zwischen industriell ausgerichteter Landwirtschaft und Umwelt- bzw. Artenschutz kommen.
Inwieweit zur Problemlösung auch die mehr als 2.000 Pflanzenarten beitragen können, die natürliche Insektizide zum Selbstschutz „herstellen“, wird abzuwarten sein. Bereits jetzt sind sie ein Teil des „Biologischen / Ökologischen Pflanzenschutzes“.
Abschließend noch ein Hinweis zu dem sehr allgemein verwendeten Begriff „Bienen“. Meistens sind damit ausschließlich die Bienen gemeint, die vom Imker in Bienenstöcken zur Honiggewinnung gehalten werden. Übersehen wird, dass fast alle Wildbienenarten – wozu auch die oben genannte Hummel gehört – bedroht sind. Sie leben anstatt in Völkern häufig alleine (Solitärbienen). Sie sind genauso wichtige Bestäuber, wie die Bienen der Imker. Letztlich gilt das zuvor Gesagte auch noch für viele andere Insekten, die zur Bestäubung beitragen. |
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Auch wenn sich bereits in diesem Arbeitsmaterial die Interessenkonflikte zwischen Landwirtschaft, Umweltschutz, Imker, etc. andeuten, lohnt es sich, dazu ein Planspiel zum Thema „Neonicotinoide“ durchzuführen.
Die Anleitung zu einem Planspiel findet man hier und die konkreten Materialien dort. Viel Spaß dabei! |
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